An das, was oft wiederholt wird und uns regelmäßig begegnet, erinnert sich unser Gehirn sehr leicht – und überschätzt gleichzeitig die Häufigkeit/Wahrscheinlichkeit. Unser Gehirn hat diese Art von Information sozusagen "leicht verfügbar", weswegen dieses Phänomen auch Verfügbarkeitsheuristik oder availability bias (vgl. Daniel Kahneman, Amos Tversky) genannt wird.
Anfang der 70er begannen Daniel Kahneman und Amos Tversky ihre Experimente zur Verhaltensökonomie. Zu dieser Zeit – und bis weit in die 2000er Jahre – glaube man an den homo economicus. Den rational denkenden und handelnden Menschen, auch rationaler Agent genannt. Bereits die ersten Experimente deuteten auf eine andere Realität hin, die sich später bestätigte und Daniel Kahneman den Wirtschafts-Nobelpreis einbrachte. Den Grundstein zu all dem legten Kahneman und Tversky durch einfache Fragestellungen, die Sie sich selbst stellten, zunächst intuitiv beantworteten und dann im Nachgang ihre intuitive Einschätzung überprüften.
An anderer Stelle auf dieser Homepage haben wir nach der Häufigkeit von Wörtern, die mit dem Buchstaben "m" beginnen im Vergleich zu den Wörtern, die mit dem Buchstaben "m" enden gefragt. Wie an der Ergebnisgrafik erkennbar ist, hat sich der Großteil der Personen, die diese Frage im Laufe der Jahre beantwortet haben, für die falsche Antwort entschieden. Alleine diese Tatsache ist schon bemerkenswert (schlecht). Das dramatische an diesem Fehler ist aber nicht nur die Häufigkeit, sondern vor allem das hohe Maß der Fehleinschätzung! Die Menge der Wörter der Kategorie, für die sich der Großteil entschieden hat (Wörter, die mit "m" beginnen), beläuft sich gerade einmal auf rund 1/3 der Wortkategorie, die korrekt gewesen wäre (also Wörter die auf "m" enden)! Dies macht den Denkfehler und die darauf basierende Fehlentscheidung noch gravierender.
Man könnte berechtigter Weise entgegnen, dass es bei dieser Frage um nichts ging. Es ging nicht um Geld, Investitionen, Prestige etc. und es gab auch keinerlei Risiko im Falle einer falschen Antwort. Das Problem bei diesem Denkfehler ist, dass wir ihn sehr häufig auch dann begehen, wenn es um durchaus viel geht. Unser Gehirn fokussiert auf wiederholt Erfahrenes, Dramatisches, Auffallendes, Aufregendes und vernachlässigt dabei die Häufigkeit dieser Ereignisse. Das führt dazu, dass wir häufig eine völlig falsche Einschätzung von Risiken in unserer Gedankenwelt verankert haben und auf dieser Basis unvorteilhafte Entscheidungen treffen. Was wir uns leicht in Erinnerung rufen können und uns dadurch subjektiv wahrscheinlicher vorkommt, hat mit der realen Häufigkeit oftmals nichts zu tun. Nur, weil wir etwas für wahrscheinlicher halten, macht es dies natürlich nicht wahrscheinlicher. Aber auf dieser Basis treffen wir – teilweise fatale – Entscheidungen.
Betrachten wir ein weiteres Beispiel:
Einen Haiangriff stellen wir uns als ein schreckliches, blutiges und potentiell tödliches Ereignis vor. Und das, obwohl die allerwenigsten von uns in der freien Natur jemals auch nur die Rückenflosse eines Hais gesehen haben. Wir denken an Aufnahmen aus Dokumentationen im Fernsehen, bei denen sich wild um sich beißende Haie auf Fischköder stürzen und malen uns die schrecklichsten Szenen aus. Oder noch schlimmer: Wir denken an eine Sequenz aus "Der weiße Hai".
Eine Kokosnuss hingegen wird bei den meisten von uns keine derartigen Emotionen auslösen. Sie ist im Gegenteil dazu eher die perfekte Assoziation zu Palmen, Sandstränden, Sonne, Meer und Urlaub. Wenn wir auch noch den Geschmack von Kokosnüssen mögen, denken wir zudem vielleicht an exotische Cocktails, Eis, Süßspeisen und andere Leckereien. Kein Gedanke an Gefahr, Verletzungen oder gar Tod. Richtig?
Die Fakten liegen anders. In der Realität ist es so, dass es 2019 weltweit nur 64 registrierte Haiangriffe gab, von denen ganze zwei tödlich ausgingen (Quelle: Statista).

Demgegenüber stehen jährlich im Durchschnitt 130-150 Todesfälle, die durch herabstürzende Kokosnüsse erfolgen. Somit sind alleine 2019 rund 68-mal mehr Menschen durch Kokosnüsse getötet worden als durch Haie!

Wenn Sie diese Fakten überraschend finden, dann bleibt Ihnen die potenzielle Gefahr, die von an Palmen hängenden Kokosnüssen ausgeht, voraussichtlich im Gedächtnis. Sie werden sich im nächsten Urlaub daran erinnern und Ihr Handtuch nicht direkt unter einer Palme ausbreiten, sondern außerhalb der Fallzone. Das wäre eine kluge Entscheidung. Das bringt uns zum ersten von mehreren Punkten, der uns vor der lauernden Falle der Verfügbarkeitsheuristik schützen kann. Wissen!
Je mehr Wissen Sie sich aneignen, desto weniger werden Ihre Entscheidungen von der Verfügbarkeitsheuristik beeinflusst!
Um sich tiefgreifend zu informieren, bieten sich in erster Linie Bücher an. Sie können aber auch gezielt auf Berichte, Analysen, Whitepaper etc. zurückgreifen. Der Vorteil ist, dass Sie durch Medien wie diese auf Informationen in verdichteter Form zurückgreifen können und weniger Zeit für das Lesen investieren müssen. Und das Ganze in den allermeisten Fällen kostenlos im Internet. Es eignen sich ebenfalls Hörbücher mit Fachinformationen, oder ausführliche Interviews, Blogs/Vlogs und Podcasts auf YouTube. Entscheidend ist, dass die Informationsvermittler auf diesen Medien seriös und die vermittelten Informationen korrekt und fundiert sind. Alle Bemühungen nutzen nichts, wenn Sie sich mit schlecht recherchierten und wenig belastbaren Informationen versorgen. Wenn es um neue Informationen wie z. B. Nachrichten und aktuelle Ereignisse geht, ist es zudem empfehlenswert gezielt Informationen aus mehreren Quellen zu sichten. Wenn Sie Ihre Informationen aus einem Medium beziehen, das z.B. politisch eher links angesiedelt ist, dann sichten Sie auch Informationen aus Medien, die eher der Opposition zugeschrieben werden. So gelangt man an das gesamte Spektrum an Informationen zu einem Thema, kann sich ein eigenes Bild machen und bei Zweifeln ggf. noch weitere Quellen zu Rate ziehen. Es ist heute an der Tagesordnung, dass unsere Leitmedien das eine oder andere Detail weglassen und Sachverhalte dadurch in einem anderen Licht erscheinen lassen. Wir gehen auf diese Tatsache in einer separaten Publikation ein, in dem wir u. a. gängige Methoden des "Framing" durch die Medien vorstellen und anhand von realen Beispielen erklären. Inklusive der Wirkung von Framing auf unseren Entscheidungsprozess beim "geframten" Thema.
Wir haben das Beispiel von Hai vs. Kokosnuss gewählt, weil der Gedanke an eine Haiattacke bei den meisten von uns spürbare Emotionen und Assoziationen auslöst. Das macht diese mehrfach erwähnte gedankliche Verfügbarkeit gut nachvollziehbar.
Aber es gibt dutzende andere unspektakuläre Beispiele im Alltag, bei denen wir Entscheidungen treffen, die auf dem gleichen Denkfehler beruhen, dem die Verfügbarkeitsheuristik zu Grunde liegt. Oft ist es die Summe an schlechten Entscheidungen, die uns im Laufe der Zeit viel kosten (Zeit, Geld, Energie etc.). Manchmal kostet uns aber auch eine einzige auf einer falschen Basis getroffene Entscheidung alles.
Hinterfragen Sie ihr eigenes Wissen/Datenbasis!

Wenn Sie im Begriff sind eine wichtige Entscheidung zu treffen, dann prüfen Sie die Information bzw. Datenbasis, auf der Ihre Entscheidung aufbaut. Handelt es sich um "Fakten", also z. B. eine Information, die Sie sich erst vor kurzem über eine zuverlässige Quelle erschlossen haben? Oder eher um "Wissen", an das Sie sich zu erinnern glauben, weil Sie darüber vor einiger Zeit mal irgendwo gelesen, oder sich mit jemanden unterhalten haben? Oder handelt es sich schlichtweg um etwas, das Sie einfach vermuten?
Je wichtiger die Entscheidung ist, umso sicherer sollten Sie sich in Bezug auf die Annahmen sein, auf denen Ihre Entscheidung basiert!
Selbstverständlich? Leider nicht. Hier ein paar Beispiele:
- Millionenfache Wertpapierkäufe rein auf Basis von (Börsen-)Stimmungen, Marktschwankungen, Gerüchten und Hörensagen - ohne Analyse der Fundamentaldaten des Unternehmens.
- Auswahl von Ausbildungsberuf, Universität oder Arbeitgeber auf Empfehlung. Oder weil z. B. ein Freund diese Wahl getroffen hat. Das kann sehr kostspielig werden, wenn sich die Wahl als falsch erweist. Wenn Sie umgezogen sind brauchen Sie jetzt evtl. Monate um den Fehler korrigieren zu können. Oder um einen anderen Studienplatz, Ausbildungsplatz bzw. eine neue Stelle zu finden.
- Manager wechseln in ein Unternehmen, kurz bevor dieses Insolvenz anmeldet. In allen uns persönlich bekannten Fällen hätte eine kurze Recherche genügt um herauszufinden, dass das jeweilige Unternehmen nicht mehr so solide aufgestellt ist wie es Jahrzehnte lang der Fall war.
- Millionenfacher Abschluss unnötiger Versicherungen. In vielen Fällen steht das Risiko in keinem Verhältnis zu den Kosten für die Versicherung. Zu allem Überfluss kann man in vielen Fällen bei genauer Recherche feststellen, dass der Fall, den man eigentlich versichern wollte, gar nicht oder nur teilweise abgedeckt ist. Das gilt z.B. oft für Reiserücktrittversicherungen, bei denen häufig nur im Rahmen von sehr eng begrenzten Bedingungen eine Rückerstattung der Kosten erfolgt.
Also: Überprüfen Sie Ihre Annahmen!
Durch die Verfügbarkeitsheuristik ergibt sich noch ein weiteres verbreitetes Phänomen: Der bevorzugte Rückgriff auf Bekanntes und die Anwendung gewohnter Muster.
Egal, ob Handwerker oder Arzt, wir greifen am liebsten auf Lösungen zurück, die wir bereits kennen. Es gäbe vielleicht bessere Lösungen, aber die haben wir gedanklich nicht präsent oder werden schlichtweg nicht einmal erwogen, weil sie vom jeweiligen Anwender noch nie ausprobiert wurden. Tätigkeiten, Methoden und Verfahren, die wir kennen, geben uns Sicherheit und werden deswegen bevorzugt. Getreu dem Motto: "Wenn das einzige Werkzeug, dass ich kenne, ein Hammer ist, dann sieht für mich jedes Problem wie ein Nagel aus".
Wenn also ein Bauunternehmer von einem bestimmten Dämmstoff für Ihr Dach abrät, dann kann es daran liegen, dass er bisher immer einen anderen Dämmstoff verwendet hat und nur bei diesem, seinem Lieblingsmaterial, über Erfahrungswerte verfügt. Es kann auch daran liegen, dass Ihr vorgeschlagener Dämmstoff komplizierter oder aufwändiger zu verarbeiten ist. Die Empfehlung eines anderen Materials muss nichts mit den Eigenschaften des von Ihnen gewählten Materials zu tun haben – auch wenn das vielleicht genau das behauptet wird.
Das Dämmstoffbeispiel ist eines von vielen aus der Praxis. Dieses Vorgehen gibt es in nahezu allen Bereichen – von der bevorzugten Vorgehensweise eines Mechanikers bei Reparaturen, bis hin zur Empfehlung einer bestimmten medizinischen Vorgehensweise eines Arztes. Es wird in der Regel immer mehrere andere Mechaniker oder Ärzte geben, die das gleiche Problem auf völlig unterschiedliche Art und Weise angehen. In den meisten Fällen wird man gezwungen sein den Arzt zu wechseln, um eine andere Herangehensweise angeboten zu bekommen - um beim Arzt-Beispiel zu bleiben. Das ist ebenfalls eine Auswirkung der Verfügbarkeitsheuristik, die bei unserer Entscheidungsfindung berücksichtigt werden sollte. Somit lautet der nächste Punkt zur Vermeidung der Auswirkungen dieser Denkfalle:
Andere Meinungen einholen!
Das gilt insbesondere bei gravierenden Eingriffen im medizinischen Bereich, ist aber auch in vielen anderen Bereichen des Alltags hilfreich. Das gilt auch für Entscheidungen, die Sie für Ihren Arbeitgeber im Rahmen Ihrer Tätigkeit treffen müssen. Unterhalten Sie sich auch mit Kollegen, die anders denken oder eine andere Herangehensweise an Aufgaben haben als Sie selbst. So bekommen Sie Zugriff auf andere Erfahrungen und Lösungswege, die sich für Ihr spezifisches Problem evtl. viel besser eignen.
Fazit: Die Verfügbarkeitsheuristik ist eine weit verbreitete Denkfalle, die in vielen Fällen ein Grund für schlechte Entscheidungen ist. Es gibt verschiedene Ausprägungen und Varianten dieses Denkfehlers, die wir in anderen Publikationen vorstellen. Die Kenntnis dieses Denkfehlers, aber vor allem die Verinnerlichung der vorgestellten Regeln, können gravierende Auswirkungen auf ihr Denken und vor allem Ihre Entscheidungen haben. Sie werden nicht mehr so leicht glauben, was Sie als erstes denken (:-D). Und wenn die Medien Sie in Zukunft mit Informationen zu einem bestimmten Thema überhäufen, werden Sie in der Lage sein einen kühlen Kopf zu bewahren, eigenständige Recherchen in alternativen Quellen anstellen können, eine persönliche Einschätzung der Lage vornehmen und darauf basierend kluge Entscheidungen treffen können.
Summary:
Je leichter sich bestimmte Themen aus dem Gedächtnis abrufen lassen, desto bedeutender schätzen die Menschen diese Themen ein. Die Verfügbarkeit dieser Informationen im Gedächtnis, steht in starkem Zusammenhang wie intensiv ein Thema in den Medien verarbeitet und wiederholt wird.
An das, was oft wiederholt wird und uns regelmäßig begegnet, erinnert sich unser Gehirn sehr leicht – und überschätzt gleichzeitig die Häufigkeit/Wahrscheinlichkeit. Unser Gehirn hat diese Art von Information sozusagen "leicht verfügbar", weswegen dieses Phänomen auch Verfügbarkeitsheuristik oder availability bias genannt wird.
Die Verfügbarkeitsheuristik begünstigt noch einen weiteren Effekt: Den Rückgriff auf Bekanntes und die Anwendung gewohnter Muster.
Die Auswirkungen sind u.a. Entscheidungen auf Basis falscher Annahmen und die Auswahl ungeeigneter Methoden und Verfahren.
Unternehmen können sich diese Effekte beispielsweise im Marketing und im Vertrieb zu Nutze machen.*
Entgegenwirken können Sie dieser Denkfalle u.a. durch Aneignung von (vielfältigem) Wissen, der Überprüfung eigener Annahmen und Einholung anderer Meinungen.*
* Weitere Beispiele für Denkfallen, aber vor allem die Lösungsansätze für gute Entscheidungen, stellen wir Ihnen im Rahmen unserer Vorträge für Unternehmen und Privatpersonen vor. Diese Vorträge unterscheiden sich in Bezug auf die jeweiligen Schwerpunkte und die Anwendungsbeispiele.
- Bei Unternehmen konzentrieren wir uns auf Businessrelevanz, konkrete Anwendungen und Möglichkeiten zur Monetarisierung des Entscheidungsprozesses.
- Für Privatpersonen liegt der Fokus auf Alltagsbeispielen.
